Stellungnahme des ANR zur Situation in Serbien(Belgrad)

Belgrad, am 16.02.17

Eine Stellungnahme,
A game with human lives

In Belgrad leben momentan geschätzte 200 unbegleitete Kinder und Jugendliche auf der Straße.
Zwei von ihnen sind Ahmed und Mohammed, die wir an unserem letzten Tag in Belgrad kennengelernt und ins Herz geschlossen haben. Die zwei Brüder sind 15 und 17 Jahre alt und kommen aus Aleppo. Sie sind leider zwei von vielen, die momentan bei Minusgraden Tag für Tag um ihr Überleben kämpfen müssen.

Serbien fehlt es enorm an Kapazitäten. Da das Land auch ohne die aktuelle Situation viele Schwierigkeiten hat und mit enormer Arbeitslosigkeit kämpft, gibt es hier keine Aussicht auf eine menschenwürdige Zukunft für die hier ankommenden geflüchtete Menschen. Noch dazu ist Hilfe für diese teilweise illegalisiert, um einen längeren Aufenthalt kaum möglich zu machen. Dies schränkt den Handlungsspielraum der NGOs enorm ein. 
Durch egoistische policies wie sie in zu vielen Ländern Europas angewandt werden, wird von unserem "fortschrittlichen, demokratischen, menschenrechtsachtenden und rechtsstaatlichen System" zugelassen, dass Menschen ihrer Menschlichkeit entraubt werden. Internationales Recht scheint nicht mehr als eine Illusion zu sein und der Ausnahmezustand, in welchem die Verletzung von Menschenrechten rechtlich legalisiert scheint, wird immer mehr zu realer Normalität.

Die meisten haben sich an Grenzen gewöhnt, die nicht nur Nationalstaaten trennen, sondern auch Menschen. In legal und illegal. In human und inhuman. Menschen entscheiden über die Leben anderer Menschen. Freiwillige HelferInnen entscheiden, wer warme Sachen bekommt, um sich gegen die Wärme zu schützen, und wer nicht. Andere Menschen entscheiden, welche 5 Personen pro Tag die Grenze überschreiten dürfen und die Chance auf ein menschenwürdiges Leben, das weit mehr umfasst als das Warten auf Essens- und Kleiderausgaben. Den Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und einem Leben ohne Zukunftsperspektive fliehen, wird jede Entscheidungsfreiheit für ihr eigenes Leben genommen und dies von den Menschen, die das Privileg hatten in einer friedlichen und wohlhabenden Umgebung geboren zu werden. Es ist traurig, mit anzusehen wie wir dieses Leid geschehen lassen, obwohl wir gemeinsam die Situation verbessern könnten.

Sollten sich Länder, die die Möglichkeiten und Kapazitäten haben, Menschen aufzunehmen, nicht verantwortlich fühlen? 
Wenn auf nationaler Ebene unterlassene Hilfeleistung eine Straftat ist, sollte dann nicht auch das passive Zusehen ohne jegliche Intervention trotz ausreichender Ressourcen genauso eine sein? Keinem Menschen steht das Recht zu, einen anderen des Lebens zu berauben. Was macht uns Menschen aus, wenn nicht die Menschlichkeit, die uns untereinander verbinden sollte?

Ahmed und Mohammed sind nur zwei Kinder von vielen, die ihrer Kindheit beraubt wurden, für die sich niemand verantwortlich fühlen möchte.

Stellungnahme des ANR zur Situation in Traiskirchen

Dieses Schreiben des ANR richtet sich an die Österreichische Regierung und macht auf die inhumane Umgangsweise aufmerksam. Mit der Hoffnung auf Veränderung.

Wien, am 12.08.2015

Jeder Mensch verdient ein Leben in Würde

Dieses Schreiben richtet sich an die österreichische Regierung. Genauer gesagt, an jene Menschen, denen es nicht zuwider ist, politisches Kleingeld aus prekären Situationen zu schlagen, die sich nicht davor scheuen, das Leid von Menschen für eigene politische Zwecke zu instrumentalisieren. Vor allem aber richtet sich dieses Schreiben auch an jene, deren chronischer Mangel an Empathie und deren blinder Hass gegen „die Fremden“ bis zur Entmenschlichung ebendieser führen. Jene, die es anderen Menschen absprechen, ein Dach über den Kopf zu haben, welches sie vor dem nächtlichen Regen schützt. Jene, für die geflüchtete Menschen „Feiglinge“, „Verräter“, „Sozialschmarotzer“, und „Kriminelle“ sind. Kurz: Jene, die Flüchtlingen das Menschsein absprechen, die ihnen ein Leben in Würde, welches ihnen im Heimatland genommen wurde, nicht gönnen wollen. 

Ich möchte gar nicht erst versuchen, die scheinbar verloren gegangene Empathie mancher PolitikerInnen zu rekonstruieren. Ich werde auch nicht sagen: „Versetzt euch mal in ihre Lage“. Denn wer nach all den Bildern und Videos, dem Elend und all dem Leid immer noch gegen die würdevolle Unterbringung geflüchteter Menschen ist, der ist mit sich selbst schon genug gestraft. Ebenso wenig werde ich fragen, wie es sein kann, dass hunderte Menschen in Traiskirchen seit Monaten unter freiem Himmel schlafen, wohlgemerkt im viertreichsten Land Europas. Oder wie es sein kann, dass der Libanon, mit einer Fläche die acht Mal kleiner ist als die des österreichischen Staatsgebietes, 700 Mal mehr Flüchtlinge aufgenommen hat als die gesamte Europäische Union zusammen. Angesichts dessen, was sich tagtäglich in Traiskirchen ereignet, scheinen all diese Fragen irrelevant zu sein. 

Flüchtlinge nicht willkommen

Wir pflegen seit Wochen und Monaten das Gespräch zu geflüchteten Menschen und hören Erzählungen von Menschen, die seit mehr als acht Monaten in Traiskirchen gefangen sind, ohne zu wissen, wie lang dieses Elend weitergeht und wohin es führt. Seit Monaten berichten uns Flüchtlinge über die miserable Situation in Traiskirchen und sagen uns, dass sie sich sicher seien, dass man sie hier nicht unterbringen wolle, weil man sie ansonsten nicht so behandeln würde. Anweisungen werden auf Englisch gegeben, wer das nicht spricht, hat Pech gehabt und muss nicht selten beim Verstoß von Regeln Strafen zahlen oder wird für mehrere Tage aus dem Lager gesperrt. Die medizinische Versorgung gleicht einer Katastrophe und miserable hygienische Umstände prägen das Innenleben des Camps. Regelungen bezüglich der Aufteilung von Flüchtlingen scheint es nicht zu geben. Willkür herrscht, Familien oder Frauen mit Kindern haben keine Priorität. Und als ob all dies nicht schon genug wäre, ist nun in den Medien von der Unterbringung von Flüchtlingen, auch Kindern und Babys in Bussen zu lesen. Bei einer Hitze von mindestens 37 Grad Celsius kann dies lebensbedrohlich werden, vor allem für Kleinkinder. Laut einem Bericht im ‚Standard‘ seien diese Menschen auf dem Gelände eingesperrt und würden nicht wissen, wie es mit ihnen weitergehen soll. Auch sie, wie 2000 andere Menschen, würden im Freien auf dem Boden schlafen. Eskalation der Lage. 

Inhumane Konditionen

In Summe ergibt dies nicht nur ein unvorstellbares Chaos, welches insbesondere einem Land wie Österreich nicht würdig ist, sondern auch eine humanitäre Katastrophe, die uns alle angeht. Wir wollten die ganze Zeit über nicht wahrhaben, dass die österreichische Regierung derart verantwortungslos mit diesen Menschen umgeht. Doch mit jedem Bericht, den wir erhalten, jedem Menschen, dem wir zuhören, jedem Besuch, den wir abstatten, bestätigt sich der Verdacht, dass alles auf ein einziges Ziel hinausläuft: Die bewusste Eskalation der Lage in Traiskirchen. Denn sobald dies geschieht, kann man wieder mit dem Finger auf die Flüchtlinge zeigen, sie diffamieren und in letzter Instanz auch abschieben, ohne dabei von Mitmenschen angegriffen zu werden. So holt man sich die verloren geglaubten Stimmen aus dem blauen Teich wieder zurück. Das Sinnbild der nichtnachhaltigen und menschenfeindlichen Politik und der mangelnden Verantwortung und Empathie ist die erst kürzlich getroffene Entscheidung 500 Flüchtlinge in die Slowakei zu schicken. Eine vorangegangene Befragung slowakischer BürgerInnen im betreffenden Ort lieferte das Ergebnis, dass 97% der Befragten die Flüchtlinge in ihrer Gemeinde nicht möchten. Trotzdem beharren unsere Behörden auf diese Entscheidung. Eine Entscheidung, die nicht nur ein Armutszeugnis an die gegenwärtige Politik und Beweis für die fehlende Kompetenz unserer PolitikerInnen ist, sondern die sich auch gegen die Werte richtet, auf die wir uns in der „freien Welt“ gerne berufen. Scheinbar negiert Österreich das Anrecht dieser Menschen auf ein Leben in Würde und versucht, durch ein Verschieben von Verantwortung, dem Druck internationaler und nationaler Stimmen zu entkommen und vom eigenen Versagen abzulenken. 

Es reicht

Wir fragen uns was noch geschehen muss, bis gehandelt wird. Es gibt zahlreiche Berichte von Selbstmordversuchen im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. Wir wollen gemeinsam, kollegial diesem Leid in unserem Land ein Ende setzen.

Wir fordern die sofortige würdevolle Unterbringung. Gerade im Hinblick auf den europaweiten Rechtsruck, die Angriffe auf AsylantInnen in Österreich, die fast 190 Angriffen auf deutsche AsylantInnenheime (häufig durch die Hand von Rechtsradikalen), den Anstieg von hetzerischen Kommentaren und den beobachtbaren Anstieg nationalsozialstischer Postings soll unsere Regierung auf alle Ewigkeiten wissen, dass sie nicht nur das Elend hunderter Menschen in Österreich zu verantworten hat, sondern auch, dass das Leid der 500 Menschen, die in die Slowakei geschickt werden sollen, an einen Ort, wo sie praktisch niemand haben möchte, ebenso auf die eigene Rechnung geht und nicht etwa auf die slowakische. 

Der Regierung bleiben somit zwei Optionen: Die erste richtet sich vor allem an Frau Mikl-Leitner: Treten Sie zurück und lassen Sie eine Person nachkommen, die genügend Kompetenzen und vor allem Herz besitzt - scheinbar Mangelware an Tagen wie diesen. 

Die zweite Option ist die wichtigere: Wir fordern die sofortige würdevolle Unterbringung der Flüchtlinge in Traiskirchen und die rasche Bearbeitung ihrer Asylansuche. Wir fordern eine ausreichende psychologische, medizinische Versorgung der Flüchtlinge und wir fordern die Betreuung durch kompetente Sozialarbeiter. 

Es reicht. Genug Elend, genug Leid.

Rami ALI, BA.

Obmann

Austrian Network for Refugees (ANR)